Es war einmal ein Schreibtisch, der im Zimmer eines Kinds
stand. Die Eltern hatten diesen Schreibtisch gekauft, als das Kind geboren war,
und Jahre hindurch hatte der Schreibtisch gewartet, dass das Kind alt genug
war, um den Schreibtisch zu nutzen. Leider blieb das Kind ein Faulpelz, der
niemals seine Hausaufgaben machte, und der Schreibtisch stand nur im Zimmer,
unbenutzt und verstaubt.
„Seufzer“, dachte er. „Zwölf Jahre bin
ich hier gestanden und kein einziger Satz. Es ist zu Unrecht. Ich hatte einen
Zweck. Ich bin mehr als nur eine Fläche mit vier Beine. Ja schon, mit meinen
sechs Beinen bin ich kein gewöhnlicher Tisch und die drei Schubladen zwischen
diesen vier Beinen machen mich zu einem Tisch vom Schlage eines Bürotisches.
Na, vielleicht bin ich zu klein und meine Farbe zu frisch für ein Büro, aber
das macht mich nichts schlechter!“
Gerade damals schwebte ein Staubkorn
aus irgendwo und fiel gerade an die Nasenspitze des Schreibtisches.
„Jetzt reicht's“, sagte der
Schreibtisch und machte sich aus dem Staub.
„Mama, der bekloppt Tisch ist weg!“
rief das Kind. „Kann ich jetzt eine Hängematte bekommen?“
„Ich glaube wir geben den befreiten
Platz lieber zu Wohltätigkeitszwecken“, sagte die Mama, und am nächsten Tag
zogen zwei herrenlosere Hunde und ein blindes Stinktier in das Zimmer ein.
Es ist nicht leicht für einen Tisch ohne Erfahrung,
seinen Platz in der Welt zu finden.
„Ach, die Bäume“, dachte der
Schreibtisch, als er in einen Wald kam. „Sie haben es leicht, ihre Äste nach
der Sonne zu recken, und die Wurzeln in den feuchten Grund zu schieben. Die
Erinnerung dieser Unbekümmertheit habe ich noch in der Maserung meines Holzes.“
Er probierte ein Bein in den Boden zu
bohren, aber statt Lebensfähigkeit fühlte er sich kalt und elend. Und plötzlich
fühlte er ein Jucken in seiner Sohle und hob das Bein hoch. Eine kleine Stimme
sprach:
„Immer ein Spazierstock! Man soll den
Tag nicht vor dem Abend loben! Immer wenn man ein gutes Holzstück findet, ist
es ein Spazierstock! Sind sie einmal da, so sind sie auch gleich wieder weg.
Keine Zeit um sich niederzulassen.“
Es war ein kleiner Wurm.
„Sei nicht wütend“, sagte der
Schreibtisch. „Es gibt kein Spazierstock hier. Nur ich.“
„Kein Stock und trotzdem Holz?“
wunderte der Wurm sich. „Was für ein Ding ist denn das?“
„Na bitte, ich bin ja ein...“ fing der
Schreibtisch stolz an, aber dann wurde er traurig. „Ich bin nur ein nutzloser
Schreibtisch.“
„Quatsch!“ wiedersetzte der Wurm sich.
„Niemand ist nutzlos. Lass mich in deine Fasern eingraben. Dann erfüllst du
einen Zweck und ich habe endlich ein Zuhause.“
„Spinnst du? Es tut mir leid, aber das
tut weh!“ schrie der Tisch. „Aber, wenn du mir versprichst, mich nicht zu
kitzeln, darfst du in meinen Fugen wohnen.“
Dieses Angebot konnte der Wurm nicht
ablehnen und die neuen Freunde gingen zusammen fort.
Als sie in einen
Acker kamen, wollte der Tisch rasten und die Landschaft bewundern. Binnen
kurzem landete eine Krähe auf ihm und lief auf der Tischplatte hin und her.
„So eine Vogelscheuche“, überlegte sie.
„Gar nicht schrecklich.“
„Er ist keine Vogelscheuche!“ rief der
Wurm. „Er ist ein wunderschöner Schreibtisch!“
„Vielmehr ein Mittagstisch!“ kreischte
die Krähe los und begann die Fugen aufzupicken.
„Aua!“ wehklagte der Tisch. „Lass uns
in Frieden, du böser Schädling!“
„Schädling? Ich?“ staunte die Krähe.
„Ich tue dir einen Gefallen, wenn ich dieses Ungeziefer schnappe!“
„Ungeziefer? Wirklich?“ heulte der
Tisch erschrocken auf und machte eine Schublade auf. „Geh hinein! Von hier
kannst du es besser erreichen!“
Die verfressene Krähe kletterte rein
und bald war sie gefangen.
„Du, Würmchen, bist du in guter
Verfassung?“ fragte der Tisch besorgt.
„Erstaunlicherweise ja“, antwortete der
Wurm. „Aber ich glaube, wenn ich hier bleibe, sind wir beide in Gefahr. Du hast
schon Splitter verloren.“
„Ich weiß“, sagte der Tisch. „Lebe
wohl! Ich lasse die Krähe erst frei wenn du verdurftet bist.“
So nahmen sie Abschied; traurig, aber
glücklich, dass sie mit dem Schrecken davon gekommen waren.
„So eine Gemeinheit“, sagte die Krähe als sie endlich ans
Licht kam. „Aber als ich da drinnen war, habe ich mich wie zu Hause gefühlt.
Sag mal, könnte ich mich hier einnisten?“
„Na ja, vielleicht wenn du mich nicht
mehr pickst“, sagte der Tisch nachgiebig. „Aber vergiss nicht, was mit dem
ehemaligen Bewohner passiert ist.“
„Der armer Schlucker?“ lachte die Krähe
auf. „Bring mich nicht zum Lachen!“
Die Krähe baute ihr Nest und wohnte
eine Zeitlang ganz bequem. Binnen kurzem kam doch eine Katze, die verscheuchte
die Krähe und legte sich an die Tischplatte. Die Katze wurde von einem Hund
vertrieben, der wiederum, sobald er es sich unter dem Tisch gemütlich gemacht
hatte, von einem Hundefänger einkassiert wurde. Der Hundefänger dahingegen
wollte nichts mit dem Tisch zu tun haben.
„Schluchzer“, sagte der Schreibtisch.
„Wieder allein. Wieder nutzlos. Kein Zweck und keine Lust. Ich bleibe hier und
werde morsch. Das ist mir völlig egal.“
Es wurde dunkel. Die Sonne war untergegangen und man
konnte schon einige Sterne am Horizont erkennen. Der Tisch schaute sehnsuchtsvoll,
als immer neue Sterne wie kleine Nadelstiche eins nach dem anderen am
Himmelsgewölbe erschienen.
„Schön, oder wie?“ sagte jemand. „Aber
es macht Arbeit.“
„Was macht Arbeit?“ fragte der Tisch.
„Diese Stiche zu stechen“, war die
Antwort zu hören. „Jeder Abend muss ich aus meinem Bau kriechen, um diese
Stiche zu stechen. Es ist nicht so schwer, aber die Verantwortung ist ganz
schön anstrengend.“
„Du machst Witze“, sagte der Tisch.
„Vielleicht ein bisschen, aber kennst
du einen anderen Zweck für einen Igel?“
Der Tisch dachte nach, aber nichts fiel
ihm ein.
„Du hast doch Glück“, sagte er. „Ich
bin ein Gebrauchsgegenstand ohne Gebrauch.“
Er erzählte dem Igel über den
Faulenzer, den Wurm, die Krähe, die Katze, den Hund und den Hundefänger.
„Ich meine, ich könnte allen diesen
etwas bieten, wenn man mich nur lassen würde.“
„Lass das“, sagte der Igel. „Du bist
nicht schuld daran, wenn jemand faul ist oder wenn manche Tiere miteinander
nicht gut zurecht kommen.“
„Aber warum ist es so?“ fragte der
Tisch.
„Also, zum Beispiel, warum mögen Füchse
und Hasen einander nicht?“ warf der Igel ein. „Natürlich haben Füchse lange
Schwänze und kurze Ohren, und Hasen das Gegenteil.“
„Aber das ist doch nur ein Witz“,
murmelte der Tisch.
„Sei nicht so ein Ernstpeter“, schimpfte
ihn der Igel zärtlich aus. „Ich probiere dich nur ein bisschen aufzumuntern.
Glücklicherweise kenne ich auch die wahre Geschichte, die, wie ich hoffe, etwas
erklären kann.“
Es war einmal ein Fuchs und ein Hase. Vielleicht gab es
auch ein paar mehr, aber viel weniger als heutzutage. Damals waren die meisten
Tiere Freunde. Nur manchmal gab es Fehden aber sie wurden immer sofort
beigelegt.
Jedermann
weißt dass Füchse sehr klug sind. Das ist ihr Charakter. Der Charakter der
Tiere hat sich über Jahrtausende entwickelt. Das heißt, die Füchse waren nicht
von Geburt an klug, und der Fuchs dieser Geschichte war nur so klug weil er
sehr viele Bücher gelesen hatte. Heutzutage kennen wir Bücherwürmer und
Leseratten, aber hat jemand je von einem Schmökerfuchs gehört? Einen solchen
gab es, und weil es in seinem Fuchsbau ganz dunkel war, hatte der Fuchs ganz
schlechte Augen und er brauchte eine Brille.
Damals gab es nicht
so viele Bücher wie heutzutage, und eines Tages bemerkte der Fuchs, dass er
alle Bücher der Welt gelesen hatte. Dann wurde sein Leben sehr langweilig. „Was
kann man tun, wenn es nichts zu lesen gibt?“ dachte er bei sich. Kam der Hase.
„Warum
maulst du, alter Freund?“ fragte er.
„Ich habe
alle Bücher der Welt gelesen“, antwortete der Fuchs.
„Aber dann
solltest du stolz sein. Du bist doch der Klügste im Wald.“
„Na, das ist
doch nicht schwer“, nuschelte der Fuchs in seinen Bart.
„Hmh...“
mummelte der Hase. „Vielleicht bin ich nicht so klug wie du, aber das weiß ich
doch: Jammern macht Nichts besonders besser. Nun, wenn du nichts dagegen hast,
werde ich dich jetzt verlassen, um ein paar Mohrrüben zu essen.“
Ging der
Hase.
„Vielleicht
bin ich nicht so klug wie du?“ murmelte der Fuchs vor sich hin. „Ja,
vielleicht... Iss doch ein paar Mohrrüben, vielleicht wirst du dann noch ein
bisschen besserwisserischer...“
Kam Herbst und ging
Winter. Im Frühling saß der Fuchs neben seinem Bau deutlich vergnügt. Der Hase
kam und bemerkte die Freude seines Freunds.
„Na, du
scheinst so froh! Worüber freust du dich so?“ fragte er.
„Du
erinnerst dich doch daran, dass ich alle Bücher der Welt gelesen habe?“
„Ja, an so
etwas erinnere ich mich.“
„Und du hast
mir geraten mich nicht zu ärgern.“
„Eigentlich
sagte ich, dass du nicht jammern sollst. Aber ja, warum sich um etwas sorgen,
wenn man nichts tun kann?“
Der Fuchs
schlug seine Faust an einen Baumstumpf.
„Nein!
Manchmal kann man etwas tun!“
„Und? Hast
du denn etwas getan?“
„Natürlich“,
sagte der Fuchs stolz. „Als es keine Bücher mehr gab, habe ich selbst eins
geschrieben!“
„Das ist doch
was! Wenn ich nur lesen könnte...“ sagte der Hase sichtlich enttäuscht.
„Na, lassen
wir uns darüber kein Sorgen machen. Ich habe nämlich eine
Buchpräsentationsparty organisiert, bei der ich das Buch vorlesen werde.
Natürlich bist du eingeladen, alter Freund.“
„Dann muss
ich noch meinen Pelz bügeln!“ sagte der Hase eilig. „Bis später!“
Der Abend der Party
kam. Der ganze Wald war da. Alle waren neugierig auf das Buch. Der Fuchs trat
vor das Publikum.
„Liebe
Freunde und Freundinnen: Mein Name ist Hase vom Fuchs.“ Er räusperte
sich und las: „Warum hat das Huhn die Straße überquert? Das ist egal, aber
warum hat der Hase die Straße nicht überquert? Er wusste nicht, dass es Autos
gibt!“
Jedermann
lachte. Jedermann außer dem Hasen.
Der Fuchs
las weiter: „Warum gibt es kein Licht im Kaninchenbau? Der Hase hat Angst,
dass seine Frau den Meister Lampe auswechseln würde!“ Als der Fuchs dies
geschrieben hatte, lachte er eine Woche lang. Trotzdem nur knapp 50 Prozent des
Publikums konnte den Witz verstehen und der Fuchs war immer stolzer über seine
Klugheit. Was folgte, war so ein Fluss kerniger Beleidigungen, dass alle Tiere
sich auf dem Boden herumwälzten wie ein gigantischer Pelz. Alle außer dem
Hasen, der hatte sich schon in den Wald zurückgezogen und konnte die Tränen
kaum zurückhalten.
Am nächsten Tag saß
der Fuchs wieder neben seinem Bau. Er war ein bisschen unruhig. Der Hase sprang
aus dem Busch.
„Na, wie
geht’s, Autor?“
„Prima! Ich
habe gestern alle Bücher verkauft und die zweite Auflage kommt! Aber wo bist du
gewesen? Wir hatten die ganze Nacht Spaß!“
„Ich hatte
auf einmal Lust auf Mohrrüben. Du weißt doch wie wir Hasen sind“, sagte der
Hase nonchalant. „Aber du erscheinst ziemlich unruhig für jemanden, der Erfolg
hat.“
„Ja, ich
glaube ich habe meine Brille verloren. Sag mal, hast du sie nicht im Wald
gesehen?“ fragte der Fuchs.
„Frag mich
nicht. Mein Name ist Hase.“
„Na, das ist
egal. Ich kann doch eine neue kaufen. Du weißt ja, auf Erfolg folgt das Geld?“
sprach der Fuchs mit stolzgeschwellter Brust.
„Frag mich
nicht. Mein Name ist Hase.“
„Gut. Dein
Name...“ murmelte der Fuchs. „Ja, also kannst du mir helfen? Ich muss in die
Stadt gehen, aber ich glaube ich kann den Weg nicht finden, wenn ich halb blind
bin.“
„Frag mich
nicht. Mein Name ist Hase“, erwiederte dieser.
Der Fuchs
blieb ein Moment still.
„Ich
verstehe“, sagte er dann. „Du hast dich über meine Witze geärgert, aber du
weißt doch, dass ich das nicht ernst gemeint habe?“
„Frag mich
nicht. Mein Name ist Hase.“
„Also, das
ist ziemlich ärgerlich, weißt du?“ brauste der Fuchs auf.
„Frag mich
nicht. Mein Name ist Hase.“
Dann verlor
der Fuchs die Nerven und raste in seinen Bau.
„Wo ist das
Messer?“ brummte er.
„Frag mich
nicht. Mein Name ist Hase“, antwortete der Hase, der ihm gefolgt war.
Währenddessen
hatte der Fuchs das Messer gefunden und stieß in die Richtung der Stimme, aber
der Hase war nicht da.
„Wo bist
du?“ brüllte der Fuchs.
„Frag mich
nicht. Mein Name ist Hase.“
Jetzt kam die Stimme von draußen und
der Fuchs eilte hinaus, stieß, aber das Messer traf keinen Hasen. Er stieß noch
einmal und dann von neuem und wieder und immer wieder, und er jagte den Hasen
bis in alle Ewigkeit.
Als der Igel die Geschichte abschloß, wurde es schon
hell. Er gähnte, kratzte seinen Bauch, und ging schlafen. Der Schreibtisch
blieb im Sonnenaufgang stehen, genässt von Morgentau, und erörterte die Moral
der Geschichte. Im Zimmer des faulen Hinterns bereitete sich das Stinktier auf
einen neuen Tag vor.